„Ein Erlebnis voller Verbundenheit” 08. Oktober 2023

#interview

© Dominique Piollet

Beim frisch gegründeten Kammermusikfestival Les Müsicales de Saint-Faust erklangen diesen Sommer die 1:1 CONCERTS inmitten der französischen Pyrenäen. Unter dem Thema deutsch-französischer Freundschaft wurde das Festival zu einem starken Begegnungsort, so auch die 1:1 CONCERTS. Das außergewöhnliche Format kreiert ein intensives Konzerterlebnis und stellt eine Verbindung zwischen Musiker:in und Zuhörenden her, die den Beteiligten noch lange im Gedächtnis bleibt.

Gastgeber Bruno Gassiot begleitete jeden Hörer und jede Hörerin einzeln an die sehr besonderen Konzertorte in St. Faust: das historische Weingut Vigneau de la Juscle und die Chapelle St Michel des Coteaux, die heutzutage kaum mehr für den Gottesdienst genutzt wird.

Unser Gastgeber Bruno Gassiot begleitete jeden Hörer und jede Hörerin persönlich rund um das 1:1 CONCERT

© Dominique Piollet

Unsere künstlerische Leiterin Franziska Ritter kam für Euch mit Sängerin Caroline Jahns und Harfenistin Pauline Berretrot über ihre Erlebnisse ins Gespräch:

Caroline, Du bist eine der Organisator:innen der 1:1 CONCERTS in Frankfurt/Main und hast dieses Format dort 2020 groß gemacht. Was macht die Magie der französischen Konzertorte aus? 

Die 1:1 CONCERTS in St. Faust waren die entspanntesten, die ich bislang erlebt habe. Das brachte das gesamte südfranzösische Setting unter Kolleginnen mit sich. Ich wanderte 20 Minuten durch die Pyrenäen (Pyrénées-Atlantiques) zu einem Weingut, um dort zu singen. Es handelte sich um ein auf einer Anhöhe gelegenes kleines Schloss. Unser Konzertort war ein fast leerer, trockener Raum, an dessen Ende ein großes Fenster den Blick auf eine üppige, grüne Tallandschaft freigab. Einzig eine Wein-Abfüllanlage stand hier. Der Raum und die Natur drum herum, der ferne Alltag, all das bildete unseren Cocon während der Konzerte. Draußen begann ein heftiger Regenguss. Es blitzte und donnerte. Wir erlebten das Wüten, doch waren wir gemeinsam sicher.

© Dominique Piollet

Nimmst Du einen Unterschied zwischen den Hörer:innen in Deutschland und Frankreich wahr? 

Nein. Einmal mehr bestätigt sich für mich, dass Musik eine universelle Sprache ist. In Frankreich, wie auch in Deutschland tauchen wir zunächst in den gemeinsamen Blickkontakt ein. Wenn die Musik erklingt, leuchten die Augen des Gastes, oder verschließen sich, um dem Hören mehr inneren Raum zu geben. Da habe ich keinen Unterschied erlebt.

Sopranistin Caroline Jahns singt in der barocken Chapelle St Michel des Coteaux

© Dominique Piollet

Gibt es einen besonderen Moment, an den Du dich erinnerst?

Oh ja. Also normalerweise bringe ich für die 1:1 CONCERTS immer ein sehr umfassendes, einstudiertes Repertoire mit, um auf alle Situationen gut vorbereitet zu sein. Inzwischen habe ich viel Erfahrung sammeln können und bin wagemutiger geworden. In den pyrenäischen Wäldern fühlte ich mich sehr frei, in meinen Gedanken war nur ein erwartungsfroher Unbekannter und ich und die gemeinsame Zeit, auf die ich mich freute. Plötzlich gab es dann bei einem Konzert diesen Moment, wo in mir eine Melodie aufstieg - eine, die ich seit über 15 Jahren nicht mehr gesungen und gehört hatte. Es war ein gregorianischer Gesang von Benjamin Britten. Die kahlen Wände, die gedämpften Schritte, die Abgeschiedenheit, der Duft des alten Gemäuers und die vielen Weinflaschen inspirierten mich, etwas Klösterliches zu singen. Als ich zu singen begann, habe ich diesen Gregorianischen Choral völlig neu entdeckt, als mein ureigenes Stück für diesen Moment für genau diesen Menschen. Die Augen meiner Zuhörerin glänzten und gaben mir Zuspruch. Die Wertschätzung für den Akt des Musizierens, des Schenkens der Musik an einen anderen Menschen wird hier, anders als in jedem anderen Konzertsetting, stark intensiviert. Es entsteht ein Erlebnis voller Verbundenheit.

Harfenistin Pauline Berretrot bei ihrem ersten 1:1 CONCERT im Weingut

© Dominique Piollet

Pauline, du bist Harfenistin und kommst aus Südfrankreich. Für dich waren es die ersten 1:1 CONCERTS. Wie hast du sie erlebt?

Das war wirklich eine sehr schöne erste Erfahrung. Die Begegnungen waren berührend, jede auf ihre Weise. Ich war beeindruckt von dem Unterschied zwischen dem Blick am Anfang und dem Blick am Ende, nachdem ich gespielt hatte. Sehr viel Aufrichtigkeit. 

Nach dem persönlichen Konzerterlebnis laden wir die Hörer:innen ein, Euch einen persönlichen Eindruck oder kurzen Gruß zu schreiben. Gibt es eine Resonanz, die Dich besonders bewegt hat?

Jedes der geschriebenen Feedbacks hat mich bewegt, aber besonders berührt haben mich die Worte einer Frau, die sich beim 1:1-Konzert nicht getraut hatte, mir in die Augen zu schauen. Als sie den Saal verließ, wusste ich nicht, ob sie es genossen hatte, denn ihr Gesicht war ziemlich neutral geblieben. Ihre anschließenden Worte drückten aus, was sie nicht durch Blicke hatte vermitteln können, ihr „Liebesbrief" war voller  Dankbarkeit mit viel Poesie formuliert.

Pauline, was nimmst du mit aus dieser 1:1 Erfahrung in deine zukünftige Praxis als Musikerin, in Dein musikalisches Schaffen?

Diese 1:1 Erfahrung war sehr positiv für mich. Ich wusste nicht, was mich erwartet, und schließlich habe ich mich sehr wohl gefühlt, entspannter als beispielsweise auf der „normalen” Konzertbühne vor großem Publikum. Es ist ein sehr sinnstiftendes Konzertformat, das einen aufrichtigen Austausch ermöglicht. Diese Unmittelbarkeit ist das, was ich in meiner Praxis als Musikerin suche.

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