Die Kunst des Gastgebens
08. Februar 2024
#1to1dialogues
Willkommen zur vierten Ausgabe der 1:1 DIALOGUES. Unser neues Begegnungsformat beginnt zunächst mit einem 1:1 Insta Live Gespräch - für kurzweilige 15 Minuten, wie bei einem 1:1 CONCERT. Das Gespräch stellen wir Euch im Nachgang zum Nachlesen und Nachhören auf die Webseite. Allmonatlich tauschen sich abwechselnd Christian oder Franziska mit eine:m Dialogpartner:in zu einem Herzensthema des erweiterten 1:1 KOSMOS aus. Hier die drei vorigen 1:1 DIALOGUES zu den Themen der Improvisation, Melancholie und Reduktion.
In dieser vierten Ausgabe geht es um das GASTGEBEN: einen essentiellen Teil der Choreografie der 1:1 CONCERTS. In unserem Konzertformat sehen wir Musiker:in und Gastgeber:in wie Geschwister an. Beide agieren Hand in Hand, auf Augenhöhe, und sind in gleichem Maße wichtig für ein gelungenes 1:1 CONCERT. Christian hat in diesem vierten 1:1 DIALOGUE die allererste „pandemische“ 1:1 Gastgeberin zu Gast, die Galeristin Imke Valentien aus Stuttgart. Die Beiden kennen sich von den ersten Tryouts im Lockdown, als die Stuttgarter Galerie Valentien zum ersten 1:1 Spielort wurde. Dort wurde die Rolle der Gastgeber:innen weiterentwickelt, die vor der Pandemie - bei den ersten 1zu1 Konzerten auf dem Sommerkonzertefestival 2019 im Kloster Volkenroda - noch Vermittler:innen hießen.
2019 wurden die Gäste etwa noch ganz haptisch an die Hand genommen und mit schallschützenden Kopfhörern an den jeweiligen Konzertort auf dem Festivalgelände begleitet. Diese Vermittler:innen-Rolle wurde dann in Stuttgart an die pandemischen Bedingungen angepasst: schließlich waren es auf einmal private Gastgeber:innen, die in ihre eigenen Räume - z.B. auch in eine Galerie - einluden und diese zudem auch szenografisch als Konzertort einrichteten.
Christian und Imke im Gespräch - Über die Kunst, an Kunst (und Musik) heranzuführen.
Christian: Liebe Imke, herzlich willkommen! Wie schön, dass ich heute dein Gastgeber sein darf!
Imke: Vielen Dank für die Einladung zu diesem 1:1 DIALOGUE. Ich freue mich sehr, Teil der 1:1 COMMUNITY zu sein. 1:1 CONCERTS sind ein besonderes Konzept mit besonderen Menschen. Für mich bedeutet das auch, aus meinem normalen Lebensbereich ein bisschen herauszugehen und in eine andere Welt einzutauchen und dabei gleichzeitig Verbindungen und Synergien zu schaffen.
Christian: Du spielst eine ganz wichtige Rolle in unserem 1:1 KOSMOS. Wie kam es denn dazu, dass du damals zur allerersten Gastgeberin wurdest, als das Projekt in der Pandemie in Stuttgart neu aufgezogen wurde?
Imke: Die 1:1 Mit-Initiatorin und Eure gute Freundin Stephanie Winker kam ganz am Anfang der Pandemie auf mich zu. Sie kannte die Galerie bereits und fragte mich, ob man diese Räume während jener Zeit, in der alles geschlossen sein musste, für das Konzertformat nutzen könne. Damals war ich noch in anderen Räumen, in einer historischen Villa - auf den Fotos sieht man, dass sich das Setting wirklich fantastisch für die 1:1 CONCERTS eignete. Wir legten damals einfach los. Und dann kam ganz schnell das Staatsorchester Stuttgart und das SWR Sinfonieorchester mit ihren Musiker:innen dazu und wir haben losgelegt. Da musste man erst mal sehen, was erlaubt war. Wie weit darf man gehen, mit wie vielen Personen und wo dürfen wir uns überhaupt treffen? Irgendwann kam sogar der Amtsarzt der Staatsoper, um sich das mal anzuschauen. Es war alles wirklich sehr aufregend und aufwändig, bis wir endlich live gehen konnten. Ich war da immer sehr gerne dabei und fand das Projekt unglaublich spannend. Es war einfach eine großartige Abwechslung in einer sehr verwirrenden Zeit.
Christian: In der Tat! Und das Verrückte war ja, dass du damals unzählige 1:1 Konzerte als Gastgeberin betreut hast. Hast du mal gezählt, wie viele das insgesamt waren?
Imke: Ich hab es irgendwann mal überschlagen, seitdem sind aber noch weitere dazu gekommen. Das waren mindestens 300.
Christian: Wahnsinn, was für eine irre Anzahl! Vielen Menschen hast du auch damals schon in die Augen geschaut und zum Konzert begleitet, vor allem auch emotional! Gibt es Parallelen zu deiner Arbeit als Galeristin? Ich habe z.B. letzte Woche eine Ausstellung in einer Berliner Galerie besucht, aber da hat mich kein Gastgeber begrüßt. Die Ausstellung war zwar faszinierend, aber sie hat mich menschlich nicht berührt. Wenn man in deine Galerie kommt, so erlebe ich das ganz anders.
Imke: Ja, die Parallelen zwischen Gastgeber:in und Galerist:in sind eigentlich ganz naheliegend. Wahrscheinlich hat es mir auch deshalb so unglaublich viel Spaß gemacht, weil mir dieser Teil der Galeriearbeit so viel Spaß macht. Vor allem der Kontakt zu den Menschen. Bei den 1:1 CONCERTS hat man als Gastgeber:in ja auch die Aufgabe, zu erklären und die Zuhörer:innen an die bevorstehende Aufführung - auch mental - heranzuführen und darauf einzustimmen. Du hast mich damals eingeführt und mir erklärt, wie man das macht. Ich habe dann auch meinen eigenen Stil entwickelt, aus den unglaublich vielen wertvollen Tipps. Bei den 1:1 CONCERTS geht es eigentlich darum, jemanden auf das, was kommt, vorzubereiten. Und auch hinterher zu betreuen, nach dem Konzert. Bei der Galeriearbeit ist es ähnlich, aber da steht natürlich die Vermittlung im Vordergrund. Eigentlich genau wie bei den 1:1 CONCERTS, nur, dass es bei euch die Musik ist und bei mir die Kunst. Allerdings bewegt sich die Kunst nicht, und sie spricht auch nicht; Dafür bin ich dann als Vermittlerin zuständig, aber man muss eben auch die Kunst für sich alleine sprechen lassen können. Wenn jemand zu mir in die Galerie kommt, dann lasse ich ihn oder sie erst einmal selber sehen, die Sachen auf sich wirken, schauen, manche reagieren dann. Ich stelle ein sehr breites Spektrum an Kunstwerken und Stilen aus und manche reagieren dann ganz stark und andere sagen: „Damit kann ich nichts anfangen“ und dann beginnt meine Arbeit. Aber ich finde es wichtig, dass am Anfang erst mal die Kunst für sich alleine spricht und dass Jede:r erst mal eine Meinung,einen Blick formt und sich mit der Kunst auseinandersetzt und versucht, sich auf sie einzulassen. Das Wichtigste sind immer die Zeit und der Raum - beides muss man lassen können. Einige Galerist:innen machen das, andere nicht. Also, wenn du sagst, beim Betreten der Berliner Galerie hat sich niemand um dich geschert, dann ist das auch ein bisschen verständlich, weil man eben genau diesen Raum lassen will. Aber dann wäre es natürlich wichtig, dass man dann sowas sagt wie: „Schauen Sie sich doch gerne erst einmal um und ich bin dann gleich bei Ihnen, dann können wir darüber sprechen“. Das ist mein Anliegen und das ist eine wirkliche Parallele zu den 1zu1 Konzerten.
Christian: Faszinierend! Du weißt ja, dass ich in meinem „anderen“ Leben seit vielen Jahren auf 25.000 Fuß auch als Gastgeber an Bord von Flugzeugen arbeite. Und dort sehe ich auch eine Parallele zu Deiner Arbeit als Galeristin. Wichtig ist, dass man ganz individuell auf die Gäste eingeht. Der Eine braucht etwas mehr Vermittlung, die Andere kennt sich vielleicht schon gut aus, da muss man jetzt nicht das Rad neu erfinden und von null anfangen. Dabei ist ganz viel Intuition gefragt: Wer braucht wann was von mir? Resoniert das mit dir und deiner Arbeit mit der Kunst?
Imke: Ja, absolut. Wir Galerist:innen haben ja ganz vielseitige Aufgaben: von der Buchhaltung über die Website-Betreuung, der Kunst-Auswahl und dem Kuratieren bis zur Kund:innen- bzw. Besucher:innen-Betreuung - die Gäste werden ja nicht immer gleich Kund:innen (lacht). Besonders wichtig ist natürlich der Moment, wenn jemand die Galerie betritt: Wie „gucken” die Besucher:innen? Was wollen sie von der Kunst und wie gehen sie darauf zu? Was haben sie für Bedürfnisse an dem Tag? Ich kenne auch Leute, die regelmäßig kommen, an einem Tag sind sie ganz offen und redselig, am anderen wollen sie einfach nur still durchgehen. Das liegt nicht an der Kunst und nicht an mir, das bringen diejenigen, die mich besuchen, mit sich. Das möchte ich dann erspüren und darauf eingehen und es erfordert natürlich ein bisschen Feingefühl und auch ein wenig psychologische Erfahrung. Im Grunde genommen sind wir auch immer ein bisschen Psycholog:innen. Und darin liegt eben auch eine Parallele zu den 1zu1 Konzerten: Manche Gäste wollen gar keine lange Erklärung, weil sie ungeduldig sind und das Konzert kaum erwarten können. Die muss man erst mal erden und sie dann eben auch nicht ganz so ausführlich briefen, sonst wären sie ungehalten geworden. Man muss auf den Menschen einfach zugehen und fein erspüren. Das passiert natürlich in Sekundenschnelle: wie guckt jemand, wenn er oder sie hereinkommt, wie läuft, wie bewegt er oder sie sich? Ja, und manchmal täuscht man sich natürlich auch, und daraus lernt man wiederum.
Christian: Und bei diesen über 300 1zu1 Konzerten, die du als Gastgeberin begleitet hast, was war dein schönster Moment oder deine größte Herausforderung?
Imke: Eine besondere Herausforderung war ein führender baden-württembergischer Politiker, der sich zwar meine Einführung angehört hat, aber dann drinnen ein bisschen abgelenkt war von der Kunst. Das ist ja an sich ganz löblich, aber eigentlich geht es bei diesen Besuchen nicht um die Kunst, sondern in erster Linie um die Musik. Aber dieser Gast hat sich halt einfach umgeguckt. Hinterher fragte ich mich, ob er bei all dem Abgelenktsein auch ein schönes 1:1 Konzert-Erlebnis hatte.
Die schönsten Erlebnisse waren eigentlich immer mit den Menschen, die sich getraut haben, ihrer Rührung Ausdruck zu geben. Im Grunde sind die 1:1 Gäste ja alle irgendwie bewegt. Manche verbergen es, in schwäbischer Geschäftsmanier, aber viele brauchen auch wirklich ein Taschentuch, weil ihnen das Konzert so nahe geht und sie in Tränen ausbrechen - positive Tränen sozusagen. Einmal war eine Dame da, die sagte, ihr Mann sei vor einem Monat verstorben, und sie hätte ein bisschen Sorge, wie das Konzert auf sie wirken würde. Doch später kam sie beglückt und strahlend aus dem Konzert und meinte, es sei genau das Richtige für sie gewesen. Also, solche Begegnungen waren wirklich besonders, und deshalb habe ich es auch so unglaublich gerne gemacht, denn das nimmt man mit und es bleibt für immer.
Christian: Vielen Dank dass du diese intensiven Erlebnisse mit uns teilst, auch diese Synergien mit deiner eigenen Arbeit. Denkst du, man kann das Erlernen, diese Art, an Musik oder an Kunst heranzuführen? Wenn jetzt vielleicht junge angehende Galerist:innen zusehen, was könntest du denen über die Rolle des Gastgebens in der Kunst mitgeben?
Imke: Das ist schwierig. Eine Parallele zu den 1zu1 Konzerten besteht darin, dass sowohl der Kunstkauf als auch eine Reaktion auf ein Konzert etwas Emotionales sind. Und wenn man diese Emotionalität zulässt, kommt man schon mal sehr weit. Ich bin da aber auch von der alten Schule: Für mich ist der Kunde König und jede:r, der/die reinkommt, wird gleich behandelt. Da gibt es natürlich Kolleg:innen, die das anders machen, wie du ja gemerkt hast. Und wenn man eine große, berühmte Galerie betritt, so ist das Aussehen heutzutage nicht mehr von Bedeutung. Früher wusste man: Wenn die einen Anzug anhaben, kann man sie schon mal ernst nehmen und sonst nicht. Das ist ja heute Quatsch. Aber es ist mir wichtig, gleich von Anfang an auf meine Gäste zuzugehen, ihnen Raum zu lassen und gleichzeitig zu spüren, was ich ihnen geben kann. Das ist sehr wichtig. Oft entwickeln sich daraus wunderschöne Gespräche. Übrigens habe ich auch viele Kund:innen, die ich quasi als Freund:innen ansehe, weil ich mit ihnen vor Kunstwerken schon so viele schöne Gespräche über die Kunst, aber auch über das Leben geführt habe, und was beide bewirken. Das ist äußerst wertvoll. Ich würde angehenden Galerist:innen sagen: seid authentisch! Und dabei stets mit dem Feingefühl für das Gegenüber.
Christian: Hier sehen uns ja gerade einige Menschen live auf Insta zu: vielleicht kannst du uns mal als Gastgeber:in zeigen, wie du uns an die tollen Kunstwerke hinter dir heranführen würdest?
Imke: Sehr gerne! Ich habe hier eine Ausstellung der Künstlerin Ingrid Hartlieb, iIhre Spezialität sind einzelne, zusammengesetzte Hölzer. Hartlieb hat in den vielen Jahren ihres Schaffens schon viele unterschiedliche Phasen durchlebt, ist sich aber in ihrem Stil immer treu geblieben. Zuerst fertigt sie Vorzeichnungen von dreidimensionalen Arbeiten an und führt diese dann aus. Die Arbeiten bestehen aus zusammengesetztem Holz, das zunächst geschnitten ist, dann geleimt wird und sich dann zusammenfügt - wie beispielsweise bei diesem „Rettungsring“ zu einem Kreis. Oder hier sehen wir auch kleinere Skulpturen, die aus zusammengefügten Holzelementen bestehen. Daraus entstehen dann richtige Haufen, wie dieser, der hier relativ modern so rumliegt.
Die Werke tragen Namen wie „Fluchtwerkzeuge“ und „Abstandhalter“. Hartlieb möchte damit Emotionen darstellen und den Ängsten und Zweifeln, die in uns leben, zwar Ausdruck verleihen, aber zugleich vage bleiben. Wenn etwa das eine „Flucht“ bedeutet und eine liegende Säule „Abstandhalter“, dann will sie damit sagen: Man kann damit natürlich auch einen Abstand halten, aber es ist vor allem wichtig, dass man für sich selber entscheidet, was das bedeutet. Das hat alles nichts mit der Flüchtlingskrise zu tun, wie man jetzt denken könnte, denn die Werke sind alle in den 90ern entstanden. Es sind einfach Objekte, die ein Dilemma, eine Ambivalenz auslösen: so ein „Rettungsring“ wie er hier liegt, ist natürlich viel zu schwer, um überhaupt irgendwen zu retten. Hartlieb macht nur selten figürliche Sachen, ihre Arbeiten sind meistens abstrahierende Objekte, mit denen man sich aber identifizieren kann. Mit Ingrid Hartlieb habe ich vom 22. bis 25. Februar 2024 eine große Präsentation auf der Kunstmesse Art Karlsruhe.
Christian: Vielen Dank für diese ganz persönliche und individuelle Einführung, dieses Gastgeben der bei dir ausgestellten Kunst. „Abstand“ ist übrigens auch wieder eine schöne Resonanz zur Pandemie und unserer gemeinsamen Arbeit bei 1:1. Wie lange kann man diese Werke bei dir noch betrachten?
Imke: Die Ausstellung läuft jetzt bis 10. Februar 2024 und dann in der Sonderpräsentation auf der Messe Art Karlsruhe.
Hartlieb und ich sind übrigens auch für einen Beitrag im Art Karlsruher Messe Magazin ausgewählt worden, da gibt es einen achtseitigen Beitrag über die Künstlerin. Es ist wunderbar, dass dort auch ältere Künstler:innen gefördert werden. Man wird dort allerdings auch noch mal neuere Arbeiten von Hartlieb sehen.
Christian: Also liebe Follower:innen: Auf geht es zu Imke nach Stuttgart und Karlsruhe, dort könnt Ihr sie als Gastgeberin und Ausstellerin erleben und vielleicht sogar das eine oder andere Kunstwerk erwerben.
Eines interessiert mich noch brennend: Gibt es auch in der Zukunft Kooperationen zwischen dir und 1:1 CONCERTS?
Imke: Unbedingt gerne. Wir sind ja immer wieder gut darin, uns neue Szenarien zu überlegen. Ich bin ja mit der Projektleitung des 1:1 Teams Stuttgart betraut und im Moment planen wir eine Kooperation mit einem Stuttgarter Krankenhaus. Dort läuft eine Forschungsarbeit über die Bedeutung von Musik und Kunst in der Heilung von neurologischen Krebserkrankungen. Dort gibt es bereits Museumsführungen und da wollen wir mit Musik, also 1:1 CONCERTS, einsteigen. Das finde ich unglaublich spannend und ich bin sehr gerne Teil davon.
Christian: Wir werden Euch auf dem Laufenden halten. Vielen Dank an dich, liebe Imke, für diesen schönen 1:1 DIALOGUE, deine interessante Führung, die tollen Gedanken und Resonanzen!